Die Neunziger Jahre waren zweifellos eine klebrige und quietschbunte Angelegenheit. Noch heute, ein halbes Leben später, wache ich ab und zu schweißgebadet auf, weil Heinzelmännchen meine Augenlider von innen mit giftgrüner Neonfarbe bekleistern und Schlaghosen mit Bügelfalten um meine 60 Watt Birne flattern (Energiesparlampen gab es ja damals noch nicht). Rhythmisch stampfende Plateau-Sohlen liefern die musikalische Untermalung für taktmäßig fragwürdige Bewegungen blanker Bäuche in zu engen Shirts, die einen gegenwärtig eher für die Irrenanstalt qualifizieren. Für alle, die den Trend der Plateau-Boots verpasst haben: das ist im Grunde auch nichts anderes als zentnerschwere Kaugummiblasen und somit ganz leicht nachzubasteln.
Musikalisch werden bei mir automatisch Assoziationen mit England wach. Angefangen bei Feuerwehr-Techno von The Prodigy, weiter über 90er Jahre Rave-Frisuren der Gallagher-Brüder, deren Haar-Imitationen man faszinierender Weise sogar noch ab und zu auf Manchesters Straßen bestaunen kann, und endend bei rot-pinken Strähnen in auftoupierten Barbiehaaren bei den Gewürz-Mädchen. Meine Erfahrung mit dieser Art Haarprachten lässt mich zu dem Schluss kommen, dass man in den Neunzigern ausgebildete Friseure im Allgemeinen meiden sollte.
Ignorant, wie wir Neunziger-Jahre-Halbwüchsige waren und sind, hab ich von der Wiedervereinigung Deutschlands so gut wie nichts mitbekommen. Dafür hatte ich Hubba-Bubba-CDs, pinke Inliner und konnte sämtliche Schlumpfen-Parade-Lieder mitsingen oder alternativ mit meinen Freundinnen „Gute Zeiten Schlechte Zeiten“ Folgen nachspielen.
Rückblickend waren die 90er insofern ein unfassbar tolles Jahrzehnt. Am allerbesten an ihnen ist, dass sie vorbei sind.
[Erschienen im bunmagazine (Berlin / Manchester) ]